image007Dordogne, Vézère, Ardèche vom 11. bis 22. Mai 2016

„Paddler sind alle Individualisten – zusammen zu kochen ist da nicht drin“! Mit diesem Ausspruch eines erfahrenen WVS’ler im Ohr stellten Gabriele und ich uns vor, wie um uns herum Nudelfertig-Soßen und Dosensuppen & Co geöffnet werden, während die französischen Märkte vor frischen Köstlichkeiten nur so überquellen. Das wäre nicht nur ein Affront gegen die französische Lebensart, sondern auch schade, schade, schade!!! Und so traute ich mich dann als zwar Paddeltour-Neuling jedoch selbsternannte Frankreich-Expertin, bei unserem Vorbereitungstreffen (zugegebenermaßen etwas piepsig) vorzuschlagen, ob es unter diesen Umständen nicht eine gute Idee sei, ausnahmsweise vielleicht einen gemeinsamen Speisezettel aufzustellen und gemeinsam mit möglichst regionalen Produkten zu kochen. Prompt wurde mein „Mut“ mit einem einstimmigen „gerne“ belohnt – es sollte nicht die letzte positive Überraschung bleiben!!

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Endlich ging es am 11. Mai bei strahlendem Sonnenschein los – Treffpunkt Rastplatz Garlsdorfer Wald – 2 Frauen, 6 Männer, 4 Wohnmobile (liebevoll „WoMos“ genannt), 8 Boote, ein herrlich buntes Bild. Durch die im voran fahrenden Guido-Mobil von Joachim  gegründete  whatsApp Gruppe „WVS-Kolonne“ konnte sichergestellt werden, dass wir uns auf den folgenden 1.450 km nicht verlieren. Und auch so lebenswichtige Fragen wie etwa „wer muss wann Pipi – und warum eigentlich schon wieder?“ sowie „Hüngerchen oder noch durchhalten?“ und „Tanken oder was?“ wurden schnell von den Beifahrer geklärt – spaßig-hochintellektuelle Dialoge, bei denen die Autofahrt wie im Fluge verging (für die uns aber sicherlich niemand für einen Pulitzer-Preis vorschlagen wird).  

Obwohl das Wetter eigentlich schlechter wurde, je weiter wir gen Süden kamen, war die Stimmung heiter, als wir nach einer unkomplizierten zweitägigen Fahrt an unserem ersten Standquartier ankamen: Camping Le Perpetuum am Fuße des mittelalterlichen Städtchens Domme, direkt an der Dordogne. Schnell entstand „ein Camp“ aus zwei Zelten und den vier WoMos, mittendrin eine lange Tafel aus Campingtischen - und der Urlaub fing an! Nachdem Jörg die Tafel mit allen verfügbaren Planen regensicher überspannt hatte, gab es zur Belohnung dann doch noch die ersten Sonnenstrahlen und eine kribbelige Vorfreude auf den morgigen ersten Paddeltag stellte sich ein. 

Dieser begrüßte uns mit einem wilden Himmel – es sollte glücklicherweise der letzte Morgen mit südfrankreich-untypischem Wetter bleiben. Während auf der ersten Paddeltour das Wasser der Dordogne noch grau in grau mit dem Himmel verschwamm, zeigte sich uns diese wunderschöne Landschaft in den folgenden Tagen in ihren herrlichsten Farben. Ein üppig grünes Paradies - das gesamte Dordogne-Tal durchzieht eine wundervoll erhaltene Natur: Von Steilfelsen überragte Flussschleifen, sandige Inselchen mit Weiden und Binsen, ruhige Strände, Plantagen mit Walnussbäumen. Vor dieser grünen Kulisse dehnt sich die blaue Wasserfläche, in der sich das Terracotta der alten Ziegeldächer und die hellen Sandsteinmauern der historischen Dörfer spiegeln. Und wir mittendrin - den Mäandern des Flusses folgend paddelten wir mit täglich neuer Begeisterung staunend von einer mittelalterlichen Sehenswürdigkeit zur nächsten. Vorbei an vielen kleinen Burgen, die überraschend hinter jeder Biegung aufzutauchen scheinen, vorbei am beeindruckenden Schloss Montfort, an dem eigentlich alle „Ludwigs Frankreichs“ ein bisschen dran herumgebaut haben sowie am Chateau des Milandes, einst im Besitz von Josephine Baker und vorbei an den historischen Orten Souillac, Martel und Beynac. Und natürlich vorbei an dem verzauberten Ort La Roque Gageac, der sich geschickt an eine Felswand längs der Dordogne schmiegt – ein für mich unvergessliches Anblick, wie „Grandseigneur Peter“ mit Strohhut auf dem Kopf und einem Liedchen auf den Lippen in seinem kleinen Wildwasserboot beschwingt auf diese großartige Kulisse zugleitet. 

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Mit derart verwöhnten Sinnen verlebten wir fünf ruhige und entspannte Tage auf dem Wasser, kontrastreich unterbrochen von einem  Vormittag auf dem turbulenten Markt des Unesco Weltkulturerbe Städtchens Sarlat-le-Caneda, mit Sicherheit einer der spannensten und schönsten Märkte Frankreichs.  Und auch unsere Abende waren ein Genuss: Das Zusammenkochen stellte sich als herrlich unkompliziert und dabei super lecker heraus! Kein Abend verging, ohne dass  mindestens ein Drei-Gänge gezaubert wurde – alles sehr französisch – zu dem jeder seinen Beitrag leistete, sei es nun schnippelnd, am Grill oder am Korkenzieher.  Bereits am zweiten Abend wurde es zum Ritual erklärt, dass nach dem Essen ein Pastis „ein Muss“ sei, zum Mut antrinken für den Abwasch, den „unsere“ Männer dann allabendlich gemeinsam verrichteten. (Für Gabriele und mich wird dieses wohl der einzige Campingurlaub unseres Lebens bleiben, bei dem wir nicht ein einziges Mal abwaschen mussten.)  An dieser Stelle möchte ich nun gerne – im Namen der ganzen Gruppe - unserem Tourenleiter Marc für die sehr gute Planung und sein flexibles und geduldiges Eingehen auf (kulturelle) Wünsche danken – bestimmt der wichtigste Faktor für das harmonische Miteinander auf der Reise!

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Und sehr planmäßig brachen wir dann auch am 18. Mai auf, um noch einmal quer durch das Zentralmassiv zur Ardèche zu fahren. Eine tagesfüllende anstrengende Fahrt durch eine beeindruckende Landschaft, die einen weiteren Urlaub wert wäre. Von vorherein war völlig klar, dass die Ardèche ein wilderes Gewässer als die liebliche Dordogne ist – schließlich war sie der Hauptgrund für meine Technikübungen gewesen. Aber dass sie sooo flott dahinfließt hatte ich mir nun doch nicht vorgestellt. Und daher war ich doppelt froh, dass wir den ersten Tag in Vallon für ein kulturelles Highlight nutzen wollten: Den Besuch der Grotte von Chauvette – ein weiteres Weltkulturerbe. Entdeckt erst 1994 ist diese Grotte berühmt für seine über 1.000 prähistorischen Wandbilder und 470 Tierdarstellungen und Symbole. Da die Originalgrotte aufgrund ihrer Fragilität nicht besichtigt werden kann, wurde sie originalgetreu kopiert – eine architektonische und künstlerische Meisterleistung, die uns alle gleichermaßen beeindruckt hat!

Beeindruckend war für mich nach wie vor auch das schäumende Wasser der Ardèche.  Was mir einen Kloß im Hals verpasste, ließ die Augen von „unseren jungen Wilden“ Marc und Guido leuchten, die noch am späten Nachmittag eine Testfahrt unternahmen – auch um beurteilen zu können,  ob der Fluss von uns Unerfahrenen befahren werden kann. So richtig anstecken konnte mich ihre anschließende Begeisterung dann nicht – auch der Rat, wir sollten gerne feste Schuhe mitnehmen, falls wir nach den ersten 8 km vor Einstieg in die Schlucht feststellen sollten, dass wir doch lieber aussteigen und zu Fuß zurück gehen wollten, beruhigte mich nicht wirklich. Abends – nach Pastis und Abwasch versteht sich – wurde erst demokratisch diskutiert und anschließend kompetent-verantwortlich entschieden, in welcher „Rüssel-an-Schwanz“-Reihenfolge wir am nächsten Tag den Fluss befahren würden. Guido hatte das zweifelhafte Vergnügen, mein Guide sein zu dürfen bzw. müssen, Gabriele sollte hinter Gerd fahren und Joachim „im Baumstamm als letzter, falls jemand aus den Bäumen gerettet werden muss“. Die abschließende Ansage „Helm und lange Paddeljacke sind Pflicht, wegen der Felsen“ und Gerds liebevoller Rat „egal was ist, immer Augen auflassen und vor allem immer weiter paddeln!“ taten ihr Übriges, um mich unruhig schlafen zu lassen.

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Am nächsten Morgen strahlte die Sonne  - und der Fluss schäumte noch immer. Nach der ersten Stromschnelle war ich klitsche nass, hatte aber in Guidos Spur bleiben können und somit scheinbar ziemlich viel richtig gemacht. Ich schöpfte Mut. In der zweiten Stromschnelle jedoch machte die Strömung mit mir, was sie wollte und vermutlich verhinderte nur mein „paddeln, paddeln-Mantra“ die komplette Orientierungslosigkeit.  In der dritten Stromschnelle konnte ich es nicht verhindern, in voller Länge über einen riesigen Stein zu fahren, ein schreckliches Geräusch, mein armes Boot! Dabei hatte ich garantiert die Augen aufgelassen. Warum nur konnte ich nicht in direkter Linie mit Guido fahren, was machte er anders als ich. Und wie war das man noch mit dem Ankanten? Zum Glück hatte der Fluss auch ruhige Passagen, so dass ich Guido um eine Crash-Nachhilfe in Paddeltheorie bitten konnte. Auch danach lief es alles andere als perfekt- aber es lief! Obwohl ich es anders wollte, paddelte ich noch ein paar Mal statt Ideallinie durch die dickste Suppe, dennoch kam ich heil an  - und entspannte mich allmählich.  Einmal waren die Wellen so hoch, dass ich Guido vor mir gar nicht mehr sehen konnte und geschockt erwog, an zu halten und um zu tragen (was völliger Blödsinn war und gar nicht gegangen wäre). Glücklicherweise war der Fluss so schnell, dass mir gar keine andere Wahl blieb, als hinter her zu paddeln. Und auch für diese Situation war der Rat „paddeln und Augen auf“ die beste Lösung – schneller sein, als der Fluss „Andrea, das ist Physik!“ Auch in der sehr herbeigesehnten Mittagspause gab es noch einmal Tipps und Theorie mit Steinchen im Sand, aber vor allem auch jede Menge aufbauendes Lob. Vielen Dank auch dafür – derart gestärkt gelang es mir dann, endlich auch die atemberaubende Umgebung wahrnehmen zu können. Denn tatsächlich ist die Ardèche wunderschön, türkisfarbendes Wasser, hohe Felswände, spektakuläre Gesteinsformationen. Und zwischendrin nun einmal immer wieder diese sprudelnden Stromschnellen! 

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Abschließend kann ich sagen, dass mir besonders die Fahrt auf der Ardèche gezeigt hat, dass ich durch das Kenter- und Technik-Training und das steuerlose Fahren auf den Kleinflüssen zwar einiges gelernt habe – aber trotzdem noch ziemlich am Anfang stehe.  Toll wäre, einen solchen Fluss nur mit Respekt und gänzlich angstfrei zu befahren. Was das für ein Genuss sein muss, habe ich beim Beobachten meiner erfahrenen Mitpaddler erahnen können. Und noch etwas habe ich auf dieser Tour erfahren: Paddler sind zwar tatsächlich alle Individualisten – sie leben ihre Individualität aber nie zu Ungunsten der Gruppe aus! Stattdessen setzen sie ihre Fähigkeiten und Talente dafür ein, dass es allen möglichst gut ergeht und die gemeinsame Aktion ein Erfolg wird. Und diese Reise war wahrlich ein Erfolg – wie schön, dass ich ausgerechnet bei Euch gelandet bin!!

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